Nachkommen : Roman

Streeruwitz, Marlene, 2014
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Medienart Buch
ISBN 978-3-10-074445-6
Verfasser Streeruwitz, Marlene Wikipedia
Systematik DR - Romane, Erzählungen, Novellen
Schlagworte Generationenroman
Verlag S. Fischer
Ort Frankfurt a. M.
Jahr 2014
Umfang 431 S.
Altersbeschränkung keine
Sprache deutsch
Verfasserangabe Marlene Streeruwitz
Annotation Quelle: Apropos. Straßenzeitung für Salzburg (http://www.apropos.or.at/);
Autor: Christina Repolust;
August ist knapp drei Wochen nach dem Bachmann-Wettlesen in Klagenfurt, die Preisträgerin bzw. der Preisträger ist bereits bis aufs Skelett porträtiert worden. Was ist eigentlich der Literaturbetrieb? Geht es um Romane? Texte? Oder doch um Bücher? Wer noch auf der Suche nach Antworten ist: Marlene Streeruwitz gibt hier eine interessante Spur vor. In ihrem Roman "Nachkommen" schickt sie gnadenlos Leserinnen und Leser gemeinsam mit ihrer Protagonistin Nelia Fehn nach Frankfurt, in die Menagerie der Verlage, der Literaturagenten und der anderen Autorinnen und Autoren. Ein Jungtalent wird diese Tochter einer renommierten und/weil verstorbenen Autorin-Mutter genannt. Nelia trinkt Wasser und teilt Ehrlichkeiten aus. Da taucht noch der Vater auf, von dem hat sie vielleicht ihre makellosen Zähne und sonst nicht viel: Sie hat es mit ihrem Text auf die Shortlist des Deutschen Buchpreises geschafft und soll jetzt darüber reden, wie politisch ihr Text - oder doch Roman oder Buch - ist. Vor der Preisverleihung und ihrem Flug nach Frankfurt war sie noch zu Opis Verabschiedung in der Aufbahrungshalle, so groß ist der Unterschied zur Literaturarena aber gar nicht.
Martin Suters "Lila, Lila" zeigt am Beispiel des 24-jährigen David Kern, wie verführerisch der Literaturbetrieb ist. Da findet dieser Kellner einer Szenebar ein Manuskript in einer Schublade: Marie, die er doch so gern beeindruckt, leitet dieses nach Frankfurt an einen Verlag weiter und David ist zum Erfolgsautor mutiert. Lesung folgt auf Lesung, keiner merkt was. Eigentlich ist der Betrieb eine Spielwiese, auf der Worthülsen einander zugespielt werden. Wer erfolgreich als Autor ist, ist auch sexy als Mann, die erfolgreiche Shortlist-Autorin wird von ältlichen Literaturexperten angemacht, alles gut, solange der Wein gratis ist. Und über den wird in beiden Büchern genauso gern gefachsimpelt wie über die Texte oder sagen wir jetzt doch Romane dazu!

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Quelle: bn.bibliotheksnachrichten (http://www.biblio.at/literatur/bn/index.html);
Autor: Rebecca Englert;
Abrechnung mit dem Literaturbetrieb. (DR)
Als jüngste Nominierte für den Deutschen Buchpreis, die die Buchmesse je zu bieten hatte, bricht Nelia von Wien nach Frankfurt auf; mit kaum Geld in der Tasche, von der Familie von Großvaters Grab weg lauwarm verabschiedet. Den Preis erhält sie dann zwar nicht, aber immerhin wird sie von ihrem recht regen Verleger von einem Essen zum nächsten geschleppt, beäugt, befragt, herumgereicht - ach ja, die Mutter war ja ebenfalls literarisch tätig gewesen, war nur leider sehr früh gestorben. Dafür erinnert Nelias Vater, von dem man nie etwas gesehen oder gehört hatte, sich plötzlich seiner semiprominenten Tochter. Die Mauer aus Zurückhaltung und Abweisung, die die junge Protagonistin um sich errichtet, ist Schutz und zugleich Verweigerungshaltung, aus deren Ritzen die Kälte kriecht und der nicht beizukommen ist. Nelia sieht aber offenbar keine in Frage kommende Alternative: Das handliche Gepäck hält sie mobil, beschwert nicht, dafür ist ihr immer fröstelig zumute. Daher sieht man sich als LeserIn ebenfalls vor die Wahl gestellt: Man wird trotzdem warm mit Nelia, mag den Stil der Streeruwitz gut leiden, dessen Syntax stoische Nüchternheit und Desillusionierung auslöst und gleichzeitig die Erkenntnis über die Frankfurter Buchmesse als Jahrmarkt der Eitelkeiten liefert. Oder man muss es bleiben lassen.

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Quelle: Literatur und Kritik;
Autor: Susanne Schaber;
Aus für die Kultur
Marlene Streeruwitz über den Literaturbetrieb: ein Abgesang
Hübsch ist sie, langbeinig, schlank und blutjung. Der Typ Model. Cornelia "Nelia" Fehn passt ins Muster. Das österreichische Fräuleinwunder - so könnte der Slogan lauten, mit dem man eine Jungautorin wie sie in die Feuilletons und ins Fernsehen hievt. So man nicht noch zusätzlich auf familiäre Bande setzt: Nelias zu früh verstorbene Mutter war eine bekannte Schriftstellerin. Auch davon ließe sich profitieren, um die Tochter nach oben und ihren Verlag in die schwarzen Zahlen zu katapultieren. Marlene Streeruwitz weiß, wie es läuft, wenn man Dichterinnen und ihre Bücher verkauft. Ihr Roman "Nachkommen." [sic! Mit Punkt!], erster Teil einer geplanten Trilogie, springt hinein in die biederen und doch auch zynischen Mechanismen des recht kraftlos vor sich hin köchelnden Literaturbetriebs. Er führt vor, wie Bücher vermarktet werden und mit ihnen die Autorinnen und Autoren, die man wie Schafe auf den Markt treibt.
Nelia Fehn ist mit in der Herde. Schon ihr Debüt ist auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gelandet. Ihr Verleger, ein abgehalfterter, desillusionierter Schmierenkomödiant, reibt sich die Hände: Sie sei sein bestes Pferd im Stall, lässt er Nelia wissen. Auf dass sie ihm in Frankfurt keine Schande mache. Sein Stand auf der Buchmesse ist klein. Doch diesmal wittert er seinen großen Auftritt. Endlich wieder im Scheinwerferlicht, vielleicht sogar mitten in der Arena. Dort tanzt der Bär. Oder das, was die Branche für einen Bären hält.
Nelia geht auf Distanz. Sie zeigt wenig Begabung und Willen, sich in die Karawane einzureihen und so durch die Buchmessetage zu trotten. Vor allem auch, weil ihr Selbstwertgefühl fragil ist. "Was war sie denn schon. Sie hatte ihr Tagebuch ein bisschen ausgebessert, und der Zufall hatte ihr geholfen, und das war ein Buch geworden." Ihre Mutter Dora, taff und geübt im Umgang mit Journalisten, wurde als bedeutende Schriftstellerin gefeiert. Dagegen tritt Nelia als literarisches Leichtgewicht auf. Frisch und rührend sei der Roman, hatten die Gazetten befunden und die ihr in die Wiege gelegte Begabung beklatscht. Was die Tochter da so schreibt, gilt als jung, frech und ach so authentisch. Das zieht.
Marlene Streeruwitz beschreibt ihre Hauptfigur als hochsensible und intelligente junge Frau. In "Nachkommen." bleibt sie ihr zwei Tage lang auf den Fersen. Vom Begräbnis des Großvaters in der Nähe von Wien geht es nach Frankfurt und dort zu den Empfängen, Interviewterminen und Treffen mit dem Tross der Literatur und deren Entourage. Als ob das nicht schon genug wäre für eine unerfahrene Autorin wie Nelia: Angelockt von ihrem Erfolg taucht auch der vorher nur via Alimente präsente Vater, ein Literaturprofessor, aus der Versenkung auf, um seine vielversprechende Tochter ans Herz zu drücken. Doch die entzieht sich.
In diesem Sich-Widersetzen spiegelt sich die Grundstimmung des Romans, der einen Abgesang anstimmt. Die Literatur sei am Ende, hört man von Nelia, und mit ihr auch die Kultur an sich. "Alles andere war wichtiger geworden. Und es ging um den Abstieg." Frankfurt, das Treffen der Funktionäre, eine Groteske. "Das war eine Erinnerungsveranstaltung. Das war ein Literaturkränzchen. Gut inszeniert. Sehr gut inszeniert und im Fernsehen übertragen. Im Fernsehen übertragen, wie die Reste verteilt werden."
Streeruwitz präsentiert ihren - nicht neuen - Befund mit der ihr eigenen sprachlichen Verve. Die Sätze kommen im Stakkato daher, der Rhythmus ist hart, oft stockend und bricht den Erzählfluss laufend auf. Der Roman wirkt einmal mehr boshaft und des­illusionierend in der Analyse des Literaturbetriebs und der Möglichkeiten der Kunst. Allein die Szene, da sich die österreichische Kulturministerin übers Messegelände führen lässt, spricht Bände. "Frau Fehn", hört man sie säuseln. "Ich wollte Ihnen zu Ihrem Erfolg gratulieren. Wenn ich schon auf der Frankfurter Buchmesse bin, dann möchte ich auch alle österreichischen E 109f rfolge genießen." Strahlendes Lächeln. Und weg ist sie.
Streeruwitz weiß, wie es läuft. Sie war 2011 selbst auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises gereiht. Ihren unnachgiebigen, durchdringenden Blick kennt man schon sehr viel länger, auch die Schärfe der Analyse, die Lust an der Satire, die so gar nicht versöhnlich wirkt, sondern Salz streut, wo sich Wunden auftun. Nicht alle Szenen beißen ähnlich kräftig zu, manche Szenen klingen etwas forciert: die Anspielungen auf die endlosen Gerichtsverfahren etwa, in die einer der großen Verlage verstrickt ist. Na, ja. Oder auch die Reden anlässlich des Buchpreises oder ähnlicher Geselligkeiten. Da muss man drüber. Um schließlich wieder dort zu landen, wo die Sprache und der Erzählduktus wirklich zupacken.
Schon im Titel steckt der Widerstand. "Nachkommen." Der Punkt ist bewusst gesetzt. Ein Befehl. Doch wohin soll es gehen? Ins Niemandsland, wenn nicht gleich in den Abgrund, zum Müll. Zugleich kündigt sich im Titel eines der weiteren Themen des Romans an: die Nachkommenschaft. Oder in diesem Fall die unselig enge Verbindung zwischen Mutter und Tochter und damit eine Reihe familiärer Verstrickungen, die den Weg in ein eigenes Leben behindern.
Dora und Nelia Fehn bilden eine Allianz: Der Vater, im fernen Frankfurt verheiratet, hat das Kind nicht gewollt, für die Großeltern ist die uneheliche Enkelin eine Schmach. Nelia wächst in einem Kokon auf und bleibt darin auch nach dem Tod der Mutter gefangen. So sehr, dass sie sich beinahe zwanghaft deren Schuhe anzieht, um ihr als junges Talent hinterher zu staken. Dora Fehn schaut ihr dabei ständig über die Schulter. Kaum jemand, der Nelia nicht auf die Verwandtschaft anspricht und sie als vielversprechendes Küken betätschelt. Andererseits genießt sie so auch einen Startvorteil: Denn natürlich weiß sie, wie der Literaturbetrieb funktioniert, sie hat ihn lang genug beobachtet und versucht nun, die mütterlichen Strategien abzurufen, um sich zu behaupten. Doch der Altherrenverein, der sie auf perfide Weise in die Arme zu schließen und zu vergewaltigen sucht, überfordert sie. Mit seinen Spielregeln will sie sich nicht arrangieren - und ertappt sich dann doch dabei, wie sie auf die 30.000 Euro Preisgeld schielt. Die jüngste Autorin zu sein, die den Buchpreis je gewonnen hat, die Aussicht, den Kontostand für einige Jahre im Plus zu wissen: Der Gedanke daran hat etwas, selbst für Nelia.
Die Fotografen stehen bereit. Das Model ist ungeschminkt, eine Naturschönheit. Aber es ist eine andere, die aufs Podest gerufen wird. Und nun? Fortsetzung folgt. Inzwischen ist der Roman einer gewissen Nelia Fehn erschienen, verfasst hat ihn Marlene Streeruwitz.

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